Liebe Leserin, lieber Leser,
am Sonntag feiern wir Erntedank. Einige Menschen aus der Gemeinde bringen in die Kirche, was in diesem Jahr in den Gärten und auf den Bäumen gewachsen ist - trotz Dürre und Hitze. Manch einer, der den Sommer vor allem mit Gießen verbracht hat, tut sich vielleicht schwer mit dem Danken: hätte es mehr geregnet, wäre ihm viel Arbeit erspart geblieben. Warum also Danken, wenn die Ernte also vor allem der eigenen Mühe zu verdanken ist? Ganz zu schweigen von den Einbußen für die Landwirte, die unter dem ausbleibenden Regen zu leiden hatten. Und dann könnte man ja noch weiter machen: welchen Sinn hat ein Erntedankfest in einer Gesellschaft, in der sich kaum einer noch Gedanken darüber machen muss, wo die Lebensmittel herkommen? Auch wenn das Gärtnern wieder einen kleinen Boom erlebt, so bauen doch die wenigsten eigenes Gemüse und Früchte an. Die Regale im Supermarkt sind ja immer gut gefüllt; so reichlich, dass immer noch große Mengen weggeworfen werden. Und außerdem: Verdienen wir nicht unser täglich Brot durch harte Arbeit? Geschenkt wird einem ja nichts!
Wieso alles noch ein Erntedankfest? Weil wir, bei allem was wir selbst leisten und tun, doch immer mehr Empfangende als Gebende sind. "Der Mensch empfängt unendlich mehr, als er gibt. Dankbarkeit macht das Leben erst reich.", schrieb Dietrich Bonhoeffer. Und tatsächlich bleibt immer ein Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Wir haben uns das Leben nicht gegeben, nicht die Luft, die wir atmen, nicht die Menschen, die uns lieben, nicht die Amsel, die im Garten singt. So vieles ist uns gegeben. So vieles von dem, was unser Leben erst wirklich reich macht. Erntedank erinnert daran, dass wir zuerst einmal Empfangende sind. Und dann auch Gebende. Wessen Herz voll ist und wessen Hände gefüllt, gibt weiter, was er hat. Auch das ist Erntedank: im Danken nicht zu vergessen, dass wir verantwortlich sind, dass jeder bekommt, was er zum Leben braucht und uns erhalten bleibt, wovon wir leben: Gottes gute Schöpfung genauso wie ein gelingendes Miteinander.
Ein gesegnetes Erntedankfest und viele gute Gründe, dankbar zu sein wünscht Ihnen
Ihr Jochen Stähle, Pfr.