Liebe Leserin, lieber Leser,

im Unterricht sprechen wir über die Geschichten vom Anfang. Von der Schöpfungswoche, dem Garten Eden, der Vertreibung aus dem Paradies, von Kain und Abel. Zwei Brüder, die - das soll unter Geschwistern ja häufiger vorkommen - unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei Brüder, zwischen die sich Neid, Zorn und Wut fressen und schließlich dazu führen, dass Kain seinen Bruder tötet. Geschwistergeschichten in der Bibel sind selten unproblematisch: neben Kain und Abel, sind es auch Jakob und Esau, Lea und Rahel oder Josef und seine Brüder. Immer geht es hart zur Sache, ist von Betrug und Bevorzugung, von Rache und Benachteiligung die Rede. Geschwister zu sein pendelt zwischen enger Vertrautheit und ständiger Rivalität, zwischen gegenseitiger Hilfe und dem Argwohn, zu kurz zu kommen. Manchem mag das bekannt vorkommen, auch heute. Das Schwierige an Geschwistern ist ja, dass man sie sich nicht aussuchen kann. Im Gegensatz zu den Freunden oder dem Partner. Man entgeht ihnen nicht - weder im Guten, noch im Bösen. Im Wochenspruch für diese Woche ist auch von Geschwistern, zunächst einmal vom Bruder die Rede: "Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe." (1. Joh 4, 21). Tatsächlich steht das Wort zunächst für den leiblichen Bruder, also für die Menschen, deren Gesellschaft wir nicht gesucht oder gewollt haben, sondern die uns mitgegeben sind, von Geburt an. Sollte sich am Umgang mit ihnen, unseren Geschwistern, auch unser Umgang mit Gott messen lassen? Natürlich mag es nicht immer und in jedem Fall gelten, gibt es Zerwürfnisse und Brüche, die nicht aufzuhalten waren. Aber die ersten Nächsten, die uns begegnen, begegnen uns in unserer Familie. Und warum sollte hier nicht auch zuerst zu sehen sein, was Liebe ist und bedeutet: innige Vertrautheit, ehrliche Offenheit und gegenseitige Verlässlichkeit. Die meisten Schülerinnen und Schüler jedenfalls schätzen ihre Geschwister und sind froh, dass sie einander haben. Gelegentliche Konflikte und Reibereien eingeschlossen.

Ihr

Jochen Stähle, Pfr.